Thesen zur Diskussion mit einem Jugendoffizier der Bundeswehr

1. Wolfgang Dominik: Kurze Thesen für die Diskussion mit einem Hauptmann der Bundeswehr (Jugendoffizier) in einer Klasse der Matthias-Claudius-Gesamtschule, Bochum

1. Einer meiner großen theologischen und sozialwissenschaftlichen Lehrer, Helmut Gollwitzer, hat einmal eine Rede gehalten, die überschrieben war: Entweder schaffen wir die Rüstung ab oder die Rüstung schafft uns ab.

Der Evangelische Theologe Karl Barth: Wo nicht der Mensch, sondern das profitbringende Kapital der Gegenstand ist, dessen Erhaltung und Mehrung der Sinn und das Ziel der politischen Ordnung ist, da ist der Automatismus schon im Gang, der eines Tages die Menschen zum Töten und Getötetwerden auf die Jagd schicken wird.

Oder einfacher der Antifaschist und Friedenskämpfer Martin Niemöller: Was würde mein Herr Jesus dazu sagen? (Das hier ist immerhin eine evangelische Privatschule!)

2. Allein die USA trugen 2010 zusammen mit Europa ca. drei Viertel der Weltmilitärausgaben zur Vernichtung von Menschenleben, also grob gerechnet 1,1 Billionen Dollar. Alle anderen ca. 200 in der UNO vertretenen Länder gaben für Militärisches zusammen 400 Milliarden . Die BRIC-Staaten geben ca. 11% der Weltmilitärausgaben aus. Täglich geben die USA 2,2 Milliarden Dollar für Kriege aus, stündlich also 90.000.000 Dollar. Jede Minute also 1.500.000 Millionen Dollar oder jede Sekunde 250.000 Dollar. (Zum Vergleich: Eine Impfung gegen die schlimmsten Krankheiten der Kinder in den Ländern des peripheren Kapitalismus bzw. der sog. 3. Welt kostet 27 Cent. Mit wie vielen Rüstungsminuten ließen sich alle ca. 1 Milliarde betroffener Kinder behandeln. Dieses Geld ist angeblich nicht vorhanden. Jede Sekunde stirbt ein Kind an diesen Krankheiten bzw. verhungert. „Der vieltausendfache tägliche Kindermord ….gehorcht keiner Notwendigkeit mehr.“““ „ „Diese Kinder werden nicht aus einem objektiven Mangel vernichtet, sondern von der ungleichen Verteilung der Güter.“ (Jean Ziegler, Das Imperium der Schande, S.30f). Der 3. Weltkrieg ist längst im Gange, national in Deutschland und international.

Diese „kannibalische Weltordnung“ durch wenige „Kosmokraten“ aus den wichtigsten kapitalistischen Staaten errichtet, ist eine „kosmokratische Barbarei“ (Ziegler), und wir nennen es Freiheit und soziale Marktwirtschaft und wissen genau, dass unser Reichtum auf den Leichenbergen der Mehrheit der Völker aufgebaut ist. Und wer sich wehrt, heißt Terrorist, Kommunist……. (Jürgen Todenhöfer, Warum tötest du, Zaid? München 2008) Und wer flüchtet, wird schlimmer als ein Tier behandelt (fakt, 27.6.2011): Allein die Zahl der ertrunkenen Flüchtlinge aus Libyen – meist wegen unterlassener Hilfeleistung der angeblich wegen Menschenrechten Krieg führenden „Weltjuntamächten“ (Jürgen Link, s. Internet) – beträgt nach Angaben wirklicher Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl, medico international, Ärzte ohne Grenzen bis heute wahrscheinlich 2500. Das sind Kriegstote! Frontex dient ja ganz offiziell der Flüchtlingsabwehr. In Libyens KZ-ähnlichen Wüstenlagern wurden mit u.a. deutscher Millionen-Euro-Unterstützung und Wissen der jetzt bombenden MenschenrechtlerInnen Menschen gequält, vergewaltigt, umgebracht.

Es gilt immer die Frage, welche geostrategischen, geoökonomischen, geopolitischen Ziele werden verfolgt. (Menschenrechte sind das nie).

3. Deutschland gibt 10 Millionen Euro täglich allein für den Krieg in Afghanistan aus. Insgesamt sind es im Einzelplan 14 im Jahre 2009 ca. 31 Milliarden.

4. Die Bundeswehr folgt, wie alle Armeen der Welt, nicht altruistischen Gründen, sondern sichert „unsere Rohstoffe, unsere Handelswege, unsere Absatzmärkte“. Das war historisch bei allen imperialistischen Ländern auch nie anders. (vgl. entsprechende Aussagen von Horst Köhler, Freiherr zu Guttenberg [als er noch Kriegsminister war], Wolfgang Ischinger, Roman Herzog, schon 1995, VPR 1991, Weißbücher, zuletzt 2006 usw. usw.)  Seit Jahren wird die Bundeswehr von einer angeblich bloßen Verteidigungsarmee in eine global agierende Interventionsarmee umgebaut….

Wenn gerade die drei ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates, die in den letzten Jahrzehnten die schlimmsten Kriege mit den abscheulichsten Verbrechen geführt haben, heute das Definitionsmonopol für Menschenrechte beanspruchen, ist das schon linde gesagt seltsam. Wenn dann noch behauptet wird, der Krieg sei die ultima ratio, sollte man sich an Willy Brandt erinnern: Der Krieg ist die ultima irratio.

5.. Der ehemalige Staatssekretär im Kriegsministerium, Friedbert Pflüger, CDU: „ Der dominierende Konflikt in der Weltpolitik im 21. Jahrhundert wird der Kampf um Energie, Rohstoffe und Wasser sein. Nationalismus, Kolonialismus und Imperialismus des 19. Jahrhundert kehren zurück.“ Er redet von einer „neuen Ära des Energieimperialismus“. Der jetzige Kriegsminister im SPIEGEL, 19.6.2011: Es ist furchtbar, den Eltern der zuletzt gefallenen Soldaten zum Tod ihrer Kinder zu kondolieren. (Wer betrauert eigentlich 1,5 Millionen afghanische Witwen und allein in Kabul mindestens 50.000 Kinderwaisen?) Und dennoch: Der Kriegsminister (Spiegel 19.6.2011): Wir müssen fähig sein, 10.000 Soldaten ständig im Krieg haben, und wir müssen fähig sein, neben 2 großen Kriegen in mehreren kleinen Kriegen in Zukunft mitmachen zu können. „Sterben und Töten gehört dazu, das müssen wir akzeptieren und bejahen“.

Weil vom Fachlehrer erwünscht, ein paar Zahlen und Fakten zu Afghanistan:

Wer stirbt, wer tötet? Allein 2010 werden 10.000 afghanische Kriegstote vermutet, mindestens zehn mal so viel dürften schwer verletzt sein – die meisten davon praktisch ohne Zugang zu irgendeiner medizinischen Versorgung. (Kriegsminister Jung kaufte vor 2 Jahren für 10.000 Dollar zwei afghanischen Familien das „Blutracherecht“ ab, nachdem deutsche Soldaten ´mal wieder mehrere Frauen und Kinder getötet hatten. Aber sonst gilt u.a. nach Jürgen  Todenhöfer): Jeder Tote erzeugt 3 oder 4 Rächer! Die NATO multipliziert dauernd „ihre Feinde“ und nennt sie dann Taliban).

Gelungen ist es unter NATO-Aufsicht, die Wirtschaft des Landes total zu ruinieren. 99% aller Waren müssen eingeführt werden. Dafür hat der Handel mit Opium sprunghaft von fast 0% 2001 auf etwa 90 % des Weltmarktes zugenommen. Die Zahl der Drogenabhängigen in Afghanistan ist inzwischen immens.

Geheimdienste schätzen die Zahl der Taliban unter den Widerständlern oder Aufständischen gegen die NATO-Besatzungstruppen auf vielleicht auf 6-8000 (Roger Willemsen, Die Zeit, 8.7.2010). Es gibt ca 1200 bis 2200 unterschiedliche Gruppen, die von den Besatzungstruppen einfach zu Taliban erklärt werden: Von einfachen Räuber- und Drogenbanden bis zu allen möglichen Bürgerwehren in Dörfern. Al Quaida kannte man in Afghanistan gar nicht und hatte wohl nie einen entscheidenden Einfluss.

Die Besatzungstruppen haben alle erklärt, dass die vom sog. freien Westen anerkannten Machthaber in Afghanistan nie und nimmer auf halbwegs korrekte Art und Weise  gewählt wurden, sie stecken in allen möglichen Drogengeschäften , die Scharia wurde praktisch als Staatsrecht eingeführt . Die Warlords im Norden waren in alle mörderischen Verbrechen verstrickt, wurden aber zu Bündnispartnern gemacht. Westliche Militärs schätzen, dass man 1.000.000 bestausgebildeter Soldaten brauchte, um den afghanischen Widerstand gegen die Besatzerarmeen unter Kontrolle zu halten. Die Einwohnerzahl Afghanistans beträgt ca. 28 Millionen.

70 % auch der Polizisten sind Analphabeten. Von den Deutschen ausgebildete Polizisten sind oft Doppelagenten und für Warlords, Drogenbarone oder Räuberbanden tätig und werden von der eigenen Bevölkerung oft als Wegelagerer in Uniform betrachtet. Zum großen Teil haben sie auch paramilitärische Aufgaben. Mit 70 Dollar im Monat können sie auch in Afghanistan nicht leben, also verdienen sie sich etwas da und dort dazu. Selbst für Richter gilt das häufig, weil Recht sich sowieso nach der Höhe der Bestechungsgelder richtet.  Das deutsche militärische Kontingent, von dem 80% zur Bewachung der eigenen Lager dienen,  soll ein Gebiet von fast 2000 km Ausdehnung und 400 km Breite mit 5-8 Millionen EinwohnerInnen „bewachen“ und gleichzeitig beim Wiederaufbau dessen helfen, was man kurz zuvor zerstört hatte. Erschwerend hinzu kommen allein im „deutschen Gebiet“ 2500 km Grenzen zu höchst problematischen Nachbarn.

Die Arbeitslosigkeit beträgt heute 75 %-90%, staatliche Unterstützung gibt es keine. Selbst in Kabul gibt es für die meisten Menschen keine Wasser- und Stromversorgung. Die sanitären Verhältnisse sind katastrophal, in den Sommermonaten sterben zahlreiche Afghanen an Cholera, im Winter erfrieren sie. Ein Drittel der Afghanen sind unterernährt und wissen morgens nicht, was sie tagsüber essen, der Rest ist bis auf eine kleine Oberschicht absolut arm (deswegen auch der Opium-Konsum, auch bei Kindern; Opium  verdrängt das Hungergefühl und die Verzweiflung). Die Kinder -, Säuglings- und Müttersterblichkeit ist inzwischen die höchste der Welt. Die Lebenserwartung liegt bei 44 Jahren, jedes vierte Kind stirbt vor dem 5. Lebensjahr.

Im Fortschrittsbericht der Bundesregierung zu Afghanistan vom 12.12.2010 steht:  „Die stetig wachsende Militärpräsenz hat bisher nicht zu einer signifikanten und nachhaltigen Verbesserung der Sicherheitslage geführt.“ Und das nach 10 Jahren Krieg, in dem ca. das 200fache für den Krieg im Vergleich mit Mitteln für zivile Entwicklung aufgewendet wurde – durch uns SteuerzahlerInnen. Die zivile Hilfe versackte oft in den Taschen der Kabuler vom Westen unterstützten und ins Amt gesetzten Regierung.

Von der angeblichen Befreiung der Frau ist auch nach 10 Jahren Krieg oder gerade deshalb nichts zu spüren. Selbst Karzai hat seiner Frau die Ausübung ihres Berufs (Gynäkologin) verboten.

103 Mädchenschulen von unabhängigen afghanischen Stellen arbeiten, z.B. in Kunduz. Bekämpft werden sie, wenn sie  als vom Westen gebaut und der Verwestlichung von Mädchen, Jungen, also der mutmaßlichen Christianisierung gelten. Ehen mit Christen oder die Annahme des Christentums z.B. werden bis heute vom „freien“  und „demokratischen“ Staat Afghanistan mit Steinigung verfolgt.

6. Der Krieg in Afghanistan ist nur unter Berücksichtigung geostrategischer, geoökonomischer, geopolitischer Rahmenbedingungen zu verstehen. Afghanistan ist Teil des Great Game, des globalen Kampfes um Rohstoffe. Es geht um die Fortsetzung des Great Game aus dem 19. Jahrhundert. Kommentator  Gerd Niewerth (WAZ vom 26.9.08), schreibt, dass die „Hypermacht USA eindeutig den Ton angibt, während die übrigen 25 (NATO-) Länder treu ergeben die Hacken zusammenschlagen müssen.“

7. Es scheint nur eine Frage der Zeit, dass Pakistan endgültig im nicht nur unerklärten Krieg mit den USA/der NATO ist. Schon heute heißt der Krieg bei Militärs AfPak.. In Afghanistan steht viel auf dem Spiel: Im Prinzip gilt, was die Schröder-Fischer-Regierung , hier in den Worten Fischers am 8.11.2001 (am 15.11. fand im Bundestag die Entscheidung für OEF statt) im Bundestag: Deutschland muss sich an der Weltordnungspolitik beteiligen:“ Die Entscheidung, `Deutschland nimmt nicht teil` würde auch eine Schwächung Europas (…) und (…) letztendlich bedeuten, dass wir keinen Einfluss auf die Gestaltung einer multilateralen Verantwortungspolitik hätten. Genau darum wird es in den kommenden Jahren gehen.“ (zit. nach : Forum Wissenschaft 3/08, S. 58).

8. Der Einfluss Indiens in Afghanistan und die Situation Pakistans durch den von Hardlinern imaginierten Zangengriff Indiens von Ost und West wird viel zu wenig thematisiert (vgl. Jürgen Rose, Pakistans Alptraum, in: Ossietzky, 13/2011, S. 480-483 – vielleicht auch im Internet?)

9. Das Grundgesetz der BRD verbietet jeglichen Kriegseinsatz der Bundeswehr. Auch vom Boden der BRD darf kein Krieg vorbereitet oder geführt werden. Das gilt auch für ausländische Truppen in der BRD.

10. Für die UN-Charta gilt prinzipiell das gleiche. Auf Ausnahmen können wir noch eingehen. Die gegenwärtigen Kriege sind grundgesetz- und völkerrechtswidrig.

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