Die Militarisierung von Hochschule und Schule

Weil u.a. dieses Thema gerade im Friedensplenum Bochum angegangen wird, möchte ich manche Doppelarbeit ersparen und veröffentliche hier einen Auszug aus einem Referat von Okt. 2010 bei der VHS Hattingen.

Militarisierung von Schule und Universitäten

Abkürzungen wie ASS, BSH, AGfsK, AIK, SPS, sind in der Öffentlichkeit praktisch nicht bekannt. (vgl. zum Folgenden: AMOS 2/2009, S. 18, Krisenmanagement . verschiedene Ausgaben des „Ausdruck“, bes. 3/2010 und meine Beiträge in Amos 2/2009 „Bundeswehr in den Rathäusern“ und in Amos 3/2010 „Aspekte der Bundeswehroffensive an der Heimatfront“)

Die o.g.  Organisationen sind praktisch Lobbyorganisationen der Rüstungsindustrie. (Finanzkapital, Handelskapital, sonstiges Industriekapital, Medienkapital und Agrarkapital sind immer beteiligt!) und fordern und fördern  die Militarisierung der Hochschulen und Schulen .

ASS gleich „Außen- und Sicherheitspolitischer Studienkreise“ ist ein angeblicher Reservistenverband, der ein „Praxis-Handbuch Energiesicherheit“ herausgegeben hat. Er ist mit Teilen des Lehrkörpers an verschiedenen Hochschulen aktiv.

Der BSH (Bundesverband für Sicherheitspolitik an Hochschulen) stellt der Bundeswehr einen „Einsatzländer-Monitor“ zur Verfügung, der genaue Informationen über soziale, kulturelle, politische, ökonomische Hintergründe über die Einsatzländer produziert. Die Kooperation zwischen Bundeswehr, Industrie, Hochschulen, Politik soll gefördert werden. Am SFB (Sonderforschungsbereich) 700 der FU Berlin wird  „kriegsunterstützende Interventionsforschung“, praktisch Kolonialwissenschaft, getrieben.

AGfsK heißt „Akademische Gesellschaft für sicherheitspolitische Kommunikation“. Es geht um die Enttabuisierung des Militärischen sowohl in der allgemeinen Öffentlichkeit als auch besonders an den Hochschulen.

Die AIK (Akademie für Kommunikation und Information) gehört zu den Kooperationspartnern. Militärische Forschung und Akzeptanz des Krieges soll gefördert werden.. Ehemalige SoldatInnen befassen sich als „Truppe für Operative Information“ mit psychologischer Kriegsführung.

Beim NATO-Forschungsprogramm SPS (Science for Peace and Security) geht es um alle relevanten Umweltprobleme, Ernährungssicherheit, Sicherheit von Computernetzwerken, aber auch um Zugang zu Wasser, Gefährdung durch Gifte und Radioaktivität. Aber selbstverständlich soll das NATO-Image als NATO, dein Freund und Helfer, aufpoliert werden.

Die FGAN (Forschungsgesellschaft für angewandte Naturwissenschaften),

das DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt),

die SDR („Projekt Software Defined Radio“),

die VVS (Verbund Verteidigungs- und Sicherheitsforschung),

die FhG (Fraunhofer Gesellschaft – vor allem in Baden-Württemberg und NRW an den Unis),

das EMI (Ernst-Mach-Institut – Uni Freiburg), sogar die (anthroposophische?) Uni Witten-Herdecke – überall wird –

Zivilklausel hin , Zivilklausel her –

Rüstungsforschung betrieben bzw. der Bundeswehr zugearbeitet.

Military Studies als Studienfach gibt es explizit bisher nur an der Uni Potsdam.

Alle diese Organisationen verfügen z.T. über beträchtliche finanzielle Mittel. Von Drittmittelforschung leben manche Hochschulbereiche. 1,1 Milliarden Euro zahlt die Bundesregierung jährlich für Rüstungsforschung an deutschen Hochschulen. Andere Mittel kommen aus anderen Haushalten.

Wo beginnt der Krieg?, ist der Titel eines Beitrags von Christoph Marischka im Ausdruck (4,2010, S. 14 – 17). Die Grauzone wird häufig fließend gehalten, weil manches unter dual use, also unter  Zivilklausel, interpretiert wird..

Auf EU-Ebene geht das weiter: Das ESRIF (Europäisches Forum für Sicherheitsforschung und Innovation) warnt vor einer „Radikalisierung von Gruppen in der Bevölkerung“. Folglich betreibt die EU eine Forschungsgruppe ADABTS („Automatische Aufspürung abnormalen Verhaltens und von Bedrohungen in bevölkerten Räumen“) (vgl. zu dem insgesamt Imi, Krisenmanagement, hier S. 51)

Es gibt als eine Military-Scientific Community, die in allen Fachbereichen, keineswegs nur in technologischen, aktiv ist und Forschung betreibt. An der RUB u.a. in Psychologie, Jura (eigene Militärgerichtsbarkeit!), Geowissenschaften, Maschinenbau und Bau- und Umweltingenieurwissenschaften. Auch hinter der Arbeitsgruppe Höhlen- und U-Bahnklimatologie an der RUB geht es dem BMBF letztlich um „Organisationsübergreifende Gefahrenabwehr zum Schutz von Menschen und kritischen Infrastrukturen durch optimierte Prävention und Reaktion“ (vgl. IMI, aa0, S. 52).

Regelmäßig findet an der RUB die Präsentation des „Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung“ (BWB) statt und zwar in einer bonding-Messe. Junge . WissenschaftlerInnen können sich hier über ihre Karrierechancen im Kriegsministerium informieren und werben lassen. Dabei sorgte im letzten Jahr der Katalog der bonding-Messe für einen Skandal. Auf dem Cover der Bundesadler versehen mit dem Slogan „Dieser Vogel macht frei„. Dazu der AStA der RUB: „Die Ähnlichkeit zum Nazi-Spruch ´Arbeit macht frei` war unverkennbar.“

Selbstverständlich werden auch viele LehrerInnen und andere MultiplikatorInnen politischer Bildung an schleichend militarisierten Fakultäten unwillkürlich so ausgebildet, dass sie dann als embedded teacher funktionieren können. Embedded journalists gibt es ja schon lange. Als Theologe kann ich feststellen, dass z.B. in den theologischen Abteilungen die „ja, aber- und jein-Theologie“ in ethischen Fragen, was Krieg angeht, fortgesetzt und vertieft wird. Wenn Margot Käßmann auch nur fragt, ob in Afghanistan alles gut ist, geht ein Sturm der Entrüstung los. Die Kirchen verhalten sich wie die theologischen Fakultäten weitgehend regierungsloyal. Oder schlimmer: Eugen Drewermann: Er warnt vor der  kirchenkonformen Majorität z.B. der TheologieprofesserorInnen: „Läßt man die Theologen an die Bibel, wird daraus ein wirkliches Propaganda- und Kriegsbuch.“ (s. Beutin). Karlheinz Deschner hat in einer zehn Bände umfassenden „Kriminalgeschichte des Christentums“ nicht nur die Aussage Drewermanns tausendfach belegt.

Bundeswehr und Schule

Seit 1959 werden sog. Jugendoffiziere (heute ca. 1000), meist in schmucker Uniform, in die Schulen geschickt, um jungen Menschen das offizielle Bild vom Soldaten und den zivilen friedlichen Zielen der Bundeswehr zu vermitteln und für Massenakzeptanz für militärisches Handeln zu werben. Der Autor hat es noch erlebt, dass er selbst als kirchlicher KDV-Beistand in viele Schulen nicht zugelassen wurde, auch wenn SchülerInnen eine Diskussion mit ihm oder mit dem Jugendoffizier wünschten. Das störte den Bildungsauftrag der Schule, vor allem das 1. Lernziel, Loyalitätsqualifikationen zu vermitteln, . Während zum Beispiel unter dem Einfluss der Friedensbewegung zwischen 1975 und etwa 1990 ganze Klassen den Kriegsdienst verweigerten, hat danach die geistig-moralische Wende immer intensiver ein  kollektives Bewusstsein von der Notwendigkeit des „bewaffneten Pazifismus“ oder „der Verhinderung eines neuen Auschwitz“ verbreitet. Kriegsdienstverweigerung wird allgemein toleriert, Kritik an SoldatInnen aber wird oft verpönt als Befürwortung von unterlassener Nothilfe für Flüchtlinge (z.B. während des Krieges der NATO gegen Jugoslawien) oder Befürwortung der Frauenunterdrückung (in Afghanistan) oder gar als Akzeptanz  von Terroristen und ihres „uns“ ins Visier nehmenden Handelns..

Die Jugendoffiziere führen in den Schulen oft POL&IS durch, die jährlich ca. 180.000 SchülerInnen und entsprechend viele LehrerInnen erreichen. Im Laufe der Jahre sind das Hunderttausende von „SpielerInnen“, die von Offizieren zur – selbstverständlich – ultima ratio gebracht werden: Es hilft  gegen alle möglichen Bedrohungen nur noch militärische Gewalt, notfalls der Ersteinsatz von Atomwaffen – von der NATO so auch festgeschrieben. Das alles ist völlig wertneutral und überparteilich, wird deklariert. Die „Faszination der Technik“, anknüpfend an die Gewalt- und Kriegs“spiele“ der Playstations, und die „persönlichen Kontakte“ mit SoldatInnen fördern den emotionalen Zugang zum Militärischen. Bis zu 140 000 vor allem Kinder und Jugendliche werden jährlich in anderen Veranstaltungen erreicht, ca. 4300 Lehrkräfte wurden von Jugendoffizieren „fortgebildet“,  Kasernenbesuche werden zum alljährlichen schulischen Alltag.

In „Kooperationsabkommen“ ist in verschiedenen Bundesländern, als erstes am 29.  Oktober 2008 in NRW, der freie Eintritt der Bundeswehr in die Schulen geregelt worden. 27.000.000 (27 Millionen!) Euro kostet die Nachwuchswerbung der Bundeswehr im Jahre 2010. Da offensichtlich die erhoffte Zahl von Freiwilligen nicht so einfach erreicht wird, trotz gezielter Erfolgsmeldungen des Kriegsministeriums 15-20% sogar wieder abspringen, werden die Kosten gesteigert werden müssen.

Bundeswehr und ARGE

Inzwischen sitzen in der Arge oder auch bei Berufskongressen Bundeswehroffiziere als Rekrutierungsagenten für perspektivlose Jugendliche. Der Beruf des Soldaten wird als krisensicherer „Job“ angeboten mit tollen Sonderprämien für Auslandseinsätze.

Wolfgang Dominik

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