Rüstungsproduktion und Kriegsbeteiligung vor unserer Haustür

 

(Dieser Beitrag wurde geschrieben für den AMOS 4/2011. Dort finden sich noch lesenswertere Artikel hauptsächlich zum Thema „Kriegsstandort NRW“  u.a. von Peer Heinelt (Rüstungsforschung), Ute Mark ( PO&IS), Rolf Euler (Kriegsforschung)  und Jürgen Wagner (Geostrategien Europas). Für 4,50 Euro ist AMOS zu bestellen bei Ute Hüttmann, Hervester Str. 2, 45768 Marl oder in jeder guten Buchhandlung).

NRW und seine militärische Bedeutung

In seinem „Rüstungsatlas Nordrhein-Westfalen“ (2008) nennt Paul Schäfer 46 Orte mit zum Teil mehreren Bundeswehreinrichtungen. Das dürften 2011 unwesentlich mehr oder weniger sein. (/http://www.paulschaefer.info/nc/presse/detail/zurueck/publikationen-und-broschueren/artikel/ruestungsatlas-nordrhein-westfalen/).

Dazu kommen  33 Städte mit wiederum oft mehreren Betrieben mit Rüstungsproduktion/Wehrtechnik. An 9 Hochschulen /Forschungsinstituten wird Rüstungsforschung betrieben. Das dürften nach verschiedenen Autoren mehr sein, weil oft durch die Definition „dual use“ nicht deutlich zwischen ziviler und gleichzeitig militärisch verwendbarer oder militärischer, aber auch zivil verwertbarer Forschung unterschieden werden kann. Komplettiert wird das durch 3 Standorte der britischen Armee.

Bei zahlreichen Beispielen im Text beziehe ich mich auf Paul Schäfer. Es ist sonst schwierig, an genaue Zahlen zu kommen.  Schäfer bietet die neuesten Fakten.

Durch die Umstrukturierungspläne der Bundeswehr wird die kriegerische Funktionalität der Standorte erhöht. Es geht auch bei den wenigen Standortschließungen um Abwerfen von Ballast, z.B. durch Aussetzung, nicht Abschaffung (!!),  der Wehrpflicht überflüssig gewordener Kreiswehrersatzämter.

 

Bundeswehreinrichtungen

 

Die Bundeswehreinrichtungen  reichen von Aachen (3 Kasernen und die Technische Schule des Heeres/Fachschule des Heeres für Technik. Diese Fachschule wird von Schäfer nicht unter die Forschungseinrichtungen gezählt, da offensichtlich die 1100 SoldatInnen und 300 MitarbeiterInnen „nur“ in militärischer Technik ausgebildet werden – vermutlich auch Angehörige des KSK [Kommando Spezialkräfte]) bis Witten (dort betreibt die Firma FIRMITATIS Dienstleistungen in Sachen Sicherheit. FIRMITATIS ist wie andere Firmen Mitglied der GSW, der Gesellschaft für sicherheits- und wehrtechnische Wirtschaft in NRW e.V – „Ihr Partner für Sicherheit und Wehrtechnik“.( http://www.gsw-nrw.de/). Daneben gibt es auch die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik, ein anderer Lobbyverband der Rüstungsindustrie. Zahlreiche Standorte entsenden Kampfeinheiten im Rahmen der gegenwärtigen Kriege, in die die Bundesrepublik sich gedrängt hat, weil sie Mitspracherechte bei der „wachsenden internationalen  Verantwortung“, also bei der Vergabe der globalen Ressourcenplünderung, haben will. Aus Augustdorf ist die Panzerbrigade 21 in Afghanistan, die aber auch schon in Somalia, Bosnien-Herzegowina, Kosovo war. Sinnigerweise ist die Kaserne dort nach Generalfeldmarschall Rommel, lange Zeit ein Bewunderer Hitlers,    benannt. Aus Nörvenich ist das Jagdbombergeschwader „Boelcke“ (Oswald Boelcke wurde als Kriegsheld schon von den Faschisten mit Kasernen- und Geschwadernamen geehrt) für Kampfeinsätze im Rahmen der NATO und der EU-Krisenreaktionkräfte vorgesehen. Das ABC-Abwehrbataillon 7 aus Höxter war schon in Afghanistan. Das 1. Deutsch-Niederländische Korps aus Münster ist Teil der QRF (Quick Reaction Force) in Afghanistan. Die NATO Responce Force verlangt, dass u.a. das ABC-Abwehrbataillon aus Höxter innerhalb von 5 Tagen, wenn nötig, ans Ende der Welt zu verlegen ist. Der War against Terror ist halt global – „unsere“ Rohstoffe allerdings auch! Wer Terrorist ist,  wird je nach Bedarf definiert.) Ein Transporthubschrauberregiment aus Rheine ist seit 2002 in Afghanistan..

Offiziell „operieren“ dieses Einheiten alle im Rahmen der ISAF (International Security Assistance Forces), tatsächlich lassen sich die Unterschiede zum Krieg der OEF (Operation Enduring Freedom – Krieg für „andauernde Freiheit“ – es erübrigt sich zu bemerken, dass kein Mensch weiß, wie diese Freiheit aussehen soll)  nicht ausmachen.

Wer die vergangenen und gegenwärtigen Einsatzgebiete der Bundeswehr zur Kenntnis nimmt, ahnt, warum das Kriegsministerium immer wieder stolz mitteilt, dass über 300.000 deutsche SoldatInnen inzwischen „Auslandserfahrungen“ haben. Als Mitglied der Friedensbewegung seit 1966 hätte ich vor 20 Jahren nie einer entsprechenden Prognose geglaubt,  Was wird eigentlich in 20 Jahren sein?

 

Rüstungsproduktion/Wehrtechnik

 

Im Rahmen dieser Darstellung können von den vielen nur wenige Betriebe genannt werden, die zusammen mit den anderen militärischen Einrichtungen NRW zum Rüstungs-Bundesland Nr. 1 machen. Wahrscheinlich werden ca. 30 % der Rüstungsinlandsaufträge an Firmen in NRW vergeben. 70% der Aufträge führen zum Export von militärischem Gerät – was Deutschland ja zum drittgrößten Rüstungsexporteur der Welt macht. Spektakuläre Großaufträge wie Kriegsschiffe und –flugzeuge werden nicht nach NRW vergeben, aber als Zulieferer von Teilen dieser Großaufträge wie z.B. elektronischem Gerät, effektive Ausrüstung für SoldatInnen und Panzerungen für Fahrzeuge ist NRW durchaus wichtig. Der „Infanterist der Zukunft“ mit allem möglichen High-Tech-Kriegsgerät und Tötungswerkzeugen ausgerüstet kommt z.T. aus NRW. Aus Aachen von T-Systems GEI GmbH kommen Teile der Software für die Fregatte F 124, bei AirRobot  in Arnsberg werden Drohnen entwickelt, in Burbach bei Dynamit Nobel Defence GmbH ( Defence – eigentlich ist alles, was Krieg bedeutet,  Defence – immer schon gewesen) werden immerhin Panzerabwehrwaffen, verschiedene Panzerfäuste, aber auch Unterwasser-Gefechtsköpfe und Unterwasser-Raketenantriebe produziert. In Lohmar sorgen gleich drei Firmen für „unsere Sicherheit und Verteidigung“. Und Verteidigung Deutschlands beginnt am Hindukusch und endet bestimmt nicht im Kongo (da liegt immerhin „unser“ Coltan). Die Firma ETEC, Gesellschaft für Technische Keramik GmbH, sorgt sich um den Objektschutz gepanzerter Fahrzeuge – zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Das Ingenieurbüro Deisenroth rüstet selbst israelische Panzer und us-amerikanische Stryker-Kampffahrzeuge mit Zusatzpanzerungen aus. Andere Firmen, die z.B. der GSW angehören, entwickeln „nur“ Sicherheitsglas, das sicher auch zivil da und dort genutzt wird oder treiben experimentelle wehrtechnische Forschung. Ein vielleicht besonders makabres Beispiel: In Mechernich produziert die Firma mayday24 die Notfall-Hotline Plaketten für Not- und Todesfälle. Auch ein Unternehmen, das garantiert auch für zivile Zwecke produziert, aber der GSW angehört. Panzerketten für alle Kettenfahrzeuge werden von Diehl Remscheid produziert. Dieses Unternehmen ist weltweit führend bei der Produktion von Panzerketten. Panzerketten aus Remscheid  finden sich sowohl in Weißrussland als auch in Botswana, Polen, Österreich, Großbritannien, Brasilien, Marokko……. Die Rüstungssparte der Rheinmetall hat natürlich wieder das „Defence“ im Namen: Rheinmetall Defence, mit 6800 MitarbeiterInnen einer der ganz Großen, führend in der Luftabwehr und bei gepanzerten Fahrzeugen.. Am Leopard ist Rheinmetall beteiligt. Andere Panzer der „Raubtierserie“ (Puma und Fuchs) sind auch beliebte Export-Artikel.

 

Hochschulen/Forschungsinstitute

 

Die Forschungsgemeinschaft für angewandte Naturwissenschaften e.V. (FGAN) in Wachtberg ist vernetzt mit den Universitäten Siegen, Bonn und der RWTH Aachen. Wehrtechnische Forschungsschwerpunkte sind neueste Verfahren der Radartechnik, neueste Methoden der Sensorik, Elektronik und Informatik für die Erstellung und Analyse von per Flugzeug oder per Satelliten gewonnenen Radarbildern. Darüber hinaus wird an der Uni Bonn mit der „Battle Management Language“ (BML) eine militärische Sprache entwickelt, die automatisch verarbeitet werden kann. An der FernUniversität Hagen  wird ein Kleinstluftschiff entwickelt, das ebenfalls zur Aufklärung auch militärischer Situationen beitragen soll. An der Uni Duisburg werden Brennstoffzellen u.a. für U-Boote erforscht.

Das “Verteidigungsministerium“ stellte 2010 1,1 Milliarden Euro für militärische Forschung bereit, aber alle Angaben, wer welche Drittmittel erhält, unterliegt seit Herbst 2010 der „Geheimschutzordnung“.( http://www.bo-alternativ.de/friedensplenum/2011/07/12/militarforschung-an-der-uni). An einigen Universitäten ist es gelungen, die Zivilklausel einzuführen, d.h., dass Forschung nur friedlichen Zwecken dienen soll. (vgl.: Andreas Seifert, Thema Zivilklausel, Hurra wir regieren…. und Wahlversprechen sind etwas für Leichtgläubige, in: Ausdruck, Augsabe 5/Okt. 2011 hg.v. IMI, S. 24), Vermutlich ist es nicht allzu schwierig, die Klausel auch über die dual-use-Behauptung zu umgehen.

Näheres ist nachzulesen im Beitrag von Peer Heinelt in diesem Heft.

 

Die britische Armee in NRW

 

In Münster ist u.a. das Panzerregiment Royal Dragon Guards stationiert, in Gütersloh das 1st Regiment Army Air Corps und ein Regiment Royal Artillery und in Herford die 1. Panzerdivision UK, ein britisches Fernmelderegiment und der britische Soldatensender BFBS.

 

Resumee

 

Rüstung tötet auch im Frieden! Die Behauptung, „si vis pacem, para bellum!“ (Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor!) ist in der Geschichte ausschließlich falsifiziert worden! Je mehr Rüstung, desto weniger Ressourcen sind für alle sozialen und zivilen Zwecke verfügbar. Ganze Regionen können von Rüstung oder militärischen Einrichtungen abhängig werden. Die Demonstrationen gegen die Schließung von Standorten auch in NRW beweisen, wie BürgerInnen  durch diese Abhängigkeit gegen ihre eigenen objektiven Interessen handeln (vgl. Dorothea Hahn, Goldküste des Krieges, in taz (sonntaz), 10./11.11.2011). Dabei liegen für zahlreiche Betriebe und militärische Einrichtungen Konversionsvorschläge auf dem Tisch oder könnten erarbeitet werden. Die Militarisierung der Gesellschaft  erzeugt eine Ideologie von der Notwendigkeit militärischer Rüstung und „humanitärer Operationen“. Der Militärisch-Industrielle Komplex im Zusammenspiel mit PolitikerInnen und Medien produzieren Bedrohungslügen, Festungsmentalitäten, militärische Lösungsstrategien für ungelöste soziale Konflikte im internationalen aber auch nationalen Rahmen. Die Schulen und Hochschulen problematisieren  Kriege und Kriegsforschung nicht, sondern wirken eher affirmativ.(vgl. Wolfgang Dominik,  http://www.bo-alternativ.de/friedensplenum/2009/03/31/soziologie-des-krieges-2/).

Helmut Gollwitzer, den ich mehrmals bei Vorträgen erleben durfte, hat immer gewarnt: Entweder schaffen wir die Rüstung oder die Rüstung uns ab.

 

Wolfgang Dominik

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