Ein kriegerisches Jahrhundert?

„Leider müssen wir mit einem kriegerischen Jahrhundert rechnen“, sagt der Journalist und Autor Jörg Kronauer im Gespräch mit telepolis. Die eigenen wirtschaftlichen Interessen Deutschlands träten zurück hinter den machtpolitischen Interessen des Westens gegenüber Russlands und zunehmend auch gegenüber China. Seiner Meinung nach haben „die westlichen Mächte in den vergangenen drei Jahrzehnten unter anderem mit der Nato-Osterweiterung Russland immer stärker bedrängt. “  Als Bürger eines westlichen Landes könne man das nicht neutral betrachten , sondern müsse dem entgegentreten. “ Der Hauptfeind steht im eigenen Land. (…)  Politisch ansetzen kann man … nur mit dem Kampf gegen die eigene herrschende Klasse und in Solidarität mit Menschen in Russland, die in ihrem Land dasselbe tun.“

Stellvertreterkrieg ohne Lösungsmöglichkeit?

German Foreign Policy und die Nachdenkseiten veröffentlichten in den letzten Tagen Beiträge von zwei Autoren aus den USA, die den Ukraine-Krieg als einen Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA einschätzen, in dem der Westen keine Verhandlungsbereitschaft, sondern Interesse an der Fortführung des Krieges zeige. Chass Freeman, ein ehemaliger  hochrangiger US-Diplomat urteilte bereits am 24. März „alles, was wir [der Westen] tun, zielt offenbar darauf, die Kämpfe zu verlängern, anstatt ihr Ende und einen Kompromiss zu beschleunigen“. Es scheine „eine Menge Leute“ in den USA zu geben, die das „prima“ fänden: Es sei „gut für den militärisch-industriellen Komplex“; es bestätige „unsere negativen Ansichten über Russland“, es stärke die NATO, und es bringe China in Verlegenheit.

Der auf internationale Beziehungen spezialisierte Politologe John J. Mearsheimer sieht die Grundlage dieses Krieges in der Nato-Osterweiterung. In der Rede Putins vom 24. Februar, in der er begründet, warum Russland in die Ukraine einmarschiert ist, „geht es um die NATO-Erweiterung und die Tatsache, dass er sie als existenzielle Bedrohung für Russland ansieht.“ Der Einsatz der Streitkräfte in der Ukraine mache es „schwer zu behaupten, dass die Russen die Ukraine erobern, besetzen und in ein größeres Russland integrieren wollen“. Es gehe um Neutralität. Da auch die US-Seite gewinnen müsse, sieht Mearsheimer die Gefahr einer weiteren Eskalation, eines jahrelangen Krieges und eines möglichen Atomwaffeneinsatzes. Er glaube nicht, dass die USA es der Ukraine erlauben werden, die weitere Zerstörung ihres Landes durch Verhandlungen zu beenden.

 

 

Aufruf zum Ostermarsch

Am Sonntag kommt der Ostermarsch nach Bochum. Die Fahrradetappe, die in Essen um 10 Uhr auf dem Willy-Brandt-Platz beginnt, erreicht gegen 13 Uhr Wattenscheid. Dort an der Friedenskirche am August Bebel Platz spricht der Autor Reinhard Junge, sein Thema: „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“. Die Fahrradetappe endet gegen 16 Uhr auf dem Konrad-Adenauer-Platz (Bermuda-Dreieck). Redner dort ist Jochen Bauer, Landesvotstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Ein Schwerpunkt seiner Rede ist die Frage: „Ist Bochum der nächste Standort für den Cyberkrieg?“

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Kein Interesse an diplomatischen Lösungen

Jürgen Wagner schreibt bei telepolis über die Anzeichen, “ dass eine ganze Reihe wichtiger Akteure innerhalb von Nato und EU tatsächlich keinerlei Interesse haben, diplomatische Lösungen für den Ukraine-Krieg zu finden. Stattdessen soll die Lieferung schwerer Waffen zum präferierten Szenario führen: einem lang andauernden und blutigen Stellvertreterkrieg, der allerdings beträchtliche Risiken in sich birgt.“ Krieg scheine zur alleinigen Option der EU geworden zu sein.

Ostermarsch gegen Krieg und Hochrüstung

Das komplette Ostermarsch-
programm

Die Bochumer Gruppe der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) ruft zur Teilnahme am Ostermarsch auf: »Der grausame Krieg in der Ukraine steht im Mittelpunkt des diesjährigen Ostermarsches Rhein Ruhr. Krieg fand in den letzten Jahrzehnten weit von Europa entfernt statt, nun tobt er hier, nur wenige hundert Kilometer von Deutschland entfernt. Die Konfrontation zwischen NATO und Russland hatte sich in den letzten Jahren immer weiter aufgebaut, doch mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine haben viele Menschen auch in der Friedensbewegung so nicht gerechnet. Nun gilt es, das Blutvergießen so schnell wie möglich zu beenden. Je länger der Krieg andauert, desto mehr Opfer fordert es, das liegt auf der Hand. Doch die Wege aus dem Krieg sind umstritten. Die NATO setzt auf Waffenlieferungen an die Ukraine, Sanktionen sollen die russische Regierung unter wirtschaftlichen Druck setzten. Doch letztendlich wird kein Weg an einer Verhandlungslösung vorbeiführen. Anderenfalls droht der Krieg zu eskalieren, kann sich sogar zu einem großen Krieg in Europa mit nicht vorstellbaren Folgen ausweiten.

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Anmerkungen zum Krieg: Ansprache von Wolfgang Dominik

Diese Ansprache hielt Wolfgang Dominik, Mitglied des Vorstandes der VVN-BdA Bochum, DFG-VK BO/HER und seit vielen Jahren im Friedensplenum Bochum. Der Anlass ist zwar die Erinnerung an den „Kapp-Putsch“, aber in Kriegszeiten muss der Redner auf Krieg eingehen. Hier Fotos der Veranstaltung; http://vvn-bda-bochum.de/archives/17014

Liebe Freundinnen und Freunde,

 

es fällt mir schwer, heute in Zeiten des Krieges, der unser aller Leben gefährdet, diese Ansprache zu halten. Und ich sollte ja jedes Wort auf die Goldwaage legen, um nicht als Unterstützer von Verbrechen verdächtigt zu werden.

Christa Wolf sagte in ihrem Buch „Kindheitsmuster“: „Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg?“

Das gilt für alle Kriege, auch für die Kriege und Bürgerkriege, in denen die ihr Leben verloren, die hier begraben liegen.

Das gilt aber auch für alle jetzigen Kriege! Obwohl es oft verpönt ist, über die Vorgeschichte nachzudenken und sie zu analysieren, muss das sein. Das erfordert meine intellektuelle Redlichkeit als jemand, der ca. 30 Jahre lang Geschichte, Soziologie, Psychologie und Theologie am Abendgymnasium und an der Uni Dortmund unterrichtet hat.

Die Rauchschwaden der explodierenden Granaten, Bomben und Geschosse des 1. Weltkrieges hatten sich noch nicht verzogen, die Zerfetzten auf den Schlachtfeldern (und das ist wörtlich zu nehmen: Da wurden Menschen geschlachtet)  waren noch nicht begraben, die Trümmer in den vor allem in Ost- und Westeuropa verwüsteten Städten und Dörfern waren noch nicht beseitigt, da begannen einflussreiche Kreise aus dem Großkapital und ihrer militärischen und politischen Verbündeten  in der Weimarer Republik die Revanche zu planen, Rache nehmen zu wollen an denen, die die Niederlage national und international herbeigeführt hatten und die Pläne für den Griff nach der Weltmacht doch noch realisieren zu können.

Letztendlich sind die, die hier liegen, Opfer der geplanten und dann vollzogenen Rüstung und des Rachegedankens geworden.

Diejenigen, die damals schon „Die Waffen nieder“ forderten, wurden als Volksverräter:innen oder vielleicht nur harmlose Irre charakterisiert.

Und es wurden Geschichtsverfälschungen der schlimmsten Art verbreitet und von all zu vielen nur all zu gerne geglaubt, weil sie die Analyse der tatsächlichen Vorgänge ersparten. Das war nach dem 1. Weltkrieg so.

Und nach dem 2. wieder; kaum war die Befreiung vom Faschismus geschehen, planten führende Kreise in der damaligen BRD, die im Wesentlichen mit denen im Faschismus gleich blieben, schon wieder die neue Aufrüstung. Auch diesmal, um Revanche zu üben vor allem „an den Russen“, also der UdSSR.

Der Mythos der heilbringenden Gewalt der Waffen war nicht gebrochen, die alten Rüstungskonzerne und ihre politischen und sonstigen Vertreter;innen machten bald weiter..

Wer heute versucht, die Vorgeschichte des Überfalls Russlands auf die Ukraine (wohlgemerkt: ein völkerrechtliches Verbrechen!) ist schon verdächtig. Der Krieg bedeutet  unendliches Leid, Tod, Verwüstung, Vertreibung, Flucht, Wer an die Vorgeschichte erinnert, gerät schnell in den Verdacht, ein Freund und Kollaborateur Putins zu sein. Schon fordern etliche Top-Journalisten, dass nun die Zeit der Zwischentöne vorbei ist, jetzt müssen wir uns alle gemeinsam wehrhaft zeigen, Das Tolerieren von Minderheitsmeinungen ist vorbei. Wer noch nachdenkt über eine potenzielle Mitschuld des sog. Westens, ist ein „innerer Feind“.

„Krieg zerstört die Offenheit einer Gesellschaft“, schreibt Gabriele Gillen.

Dieser Überfall Russlands auf die Ukraine ist auch nicht damit zu rechtfertigen, dass die NATO oder NATO-Staaten in den letzten Jahrzehnten unendliche Grausamkeiten bei Überfällen auf den Irak, auf Jugoslawien, auf Afghanistan, auf Libyen und Kriegen in diesen Ländern angerichtet haben. Wer behauptet, dieser Überfall Russlands sei einzigartig nach 1939, leidet an selektiver Amnesie oder Demenz.

Wenn der Bundestag 3 Tage nach dem Überfall weitgehend mit stehenden Ovationen ein 100 Milliarden Hochrüstungsprogramm verabschiedet und die Medien in ihrer viel zu großen Mehrheit die undemokratische Nacht-und-Nebel-Aktion einiger weniger  auch noch loben, dann ist der, der sich verweigert, schlimmsten Verdächtigungen ausgesetzt. Ich will  weiterhin mit der VVN-BdA auf antimilitaristischen Positionen bleiben. Als Mitglied der DFG-VK will ich pazifistische Positionen vertreten können, ohne deswegen ausgeschimpft zu werden.

Dieser militaristische Rausch im Bundestag am 27.2. macht mir Angst!  Ich habe nach den ersten Kundgebungen in Bochum gegen den Krieg einen Leserbrief an die einzige Bochumer Tageszeitung geschrieben, in dem ich mein Entsetzen ausdrückte, dass auf diesen ersten angeblichen Friedenskundgebungen Waffen für die Ukraine gefordert wurden. Wenn das verzweifelte Ukrainer:innen fordern, verstehe ich das, auch wenn ich es nicht gutheiße. Ich verstehe das, heiße es aber nicht gut! Das sollten sich alle hinter die Ohren schreiben, die Putin-Versteher zum Wort für nostalgische Stalinisten, für Fahnenflüchtige oder Überläufer machen oder harmloser für geistig und moralisch Verwirrte. Aber wenn dann diese Forderungen auf dem Rathausplatz von der Mehrheit beklatscht werden, wundern mich die Ovationen im Bundestag nicht mehr. Mein Brief wurde nicht veröffentlicht. Wir haben Pressefreiheit. Da bestimmen 5 oder 6 große Verleger, was die veröffentlichte Meinung zu sein hat.

Der Satz, „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor“, hat sich noch nie in der Geschichte der Menschheit  bewahrheitet. Jede Kriegsvorbereitung mündete mit noch entsetzlicheren Waffen in noch entsetzlicheren Kriegen! 100 Milliarden erhöhen die Kriegsgefahr! Die sog. Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten übersteigen die russischen Ausgaben um das Zwanzigfache. Die Rüstungskonzerne wissen vor Freude gar nicht mehr ein noch aus. 100 Milliarden und ein echter Krieg ganz in der Nähe. Das löst Riesenfreuden aus! Mir macht es Angst, weil hier zwei Blöcke gegeneinander Krieg führen könnten, die beide je ca. 7000 Atombomben haben. Je nach Stärke, würden 2 oder 3 ausreichen, Deutschland in eine atomare Wüste zu verwandeln.

Über jedem Menschen auf der Erde schwebt an einem seidenen Faden ein Würfel Dynamit von 2 1/2 m Kantenlänge. Wird alles sicherer, wenn die Kantenlänge des Dynamit-Würfels nicht 2 1/2 m, sondern 5 m misst?  Wie viel Overkill-Kapazität bedeutet Sicherheit?

Ein Präsident, der seinen Anzug mit dem olivgrünen Militär-T-Shirt vertauscht und nach Medienberichten fordert, Molotow-Cocktails gegen russische Panzer zu bauen und die Panzer damit anzugreifen, wird  in der BILD-Zeitung mit riesengroßen Buchstaben als Helden-Präsident auf S. 1 bejubelt. Dieser Präsident wurde von der Stiftung Wissenschaft und Politik, einem von der Bundesregierung bezahlten ThinkTank, Anfang Februar 2022 als auf dem Weg in den populistischen Autoritarismus bezeichnet. Aber auch sonst ist Selenskyj in den Medien seit dem 24.2. die Nr.1.Der gelernte Schauspieler inszeniert sich selbst als heroischer Kämpfer und fordert die Bevölkerung auf, es ihm gleich zu tun. Gabriele Gillen, m.E. eine der letzten mutigen WDR-Redakteur:innen, nennt den Internet-Star einen Kriegs-Influencer. Wladimir Klitschko wird am Maschinengewehr sitzend gezeigt, wie er heldenhaft sein Land verteidigt. Jemand aus dem Friedensplenum sagte dazu: Wer Harakiri machen will, soll das machen, aber nicht andere auffordern, aus Solidarität mit ihm auch Harakiri zu machen.

Alle  Appelle in den letzten 30  Jahren, auch von deutschen und us-amerikanischen  hochrangigen Militärs und Politiker:innen, Russlands Sicherheitsinteressen ernst zu nehmen und zu verhandeln,  wurden gnadenlos ausgelacht oder diffamiert als Unterstützung Russlands.

Wer an Zbigniew Brzezinski, immerhin prominenter und wichtigster Berater aller US-Präsidenten, erinnert, der schon 1997 in seinem Buch „ Die einzige Weltmacht“, das Drehbuch für die Einverleibung Osteuropas bis nach Zentralasien in us-amerikanisches Interessengebiet, schrieb, gilt heutzutage beinahe schon wieder als „Nestbeschmutzer“. Man/frau kann heute – wenn man Nestbeschmutzer:in  ist – die genannten Appelle oder Vorschläge Russlands nachlesen, die auf die Sicherheitsbedürfnisse hinwiesen und Vorschläge machten, über eine Sicherheitsarchitektur  unter Einbeziehung Russlands zu verhandeln. Gorbatschow sprach noch von einem gemeinsamen Haus Europa. Das hat Russland oft gefordert! Aber es wurde nicht verhandelt, stattdessen weiter hochgerüstet bis an die Grenzen Russlands und reihenweise wurden Verträge zur Rüstungsbegrenzung durch die USA geschreddert. Die sukzessiven militärischen  Gleichgewichtsverschiebungen zuungunsten Russlands in den letzten 20 Jahren stellte auch die regierungsnahe Stiftung für Wissenschaft und Politik noch jüngst fest. Ein deutscher Admiral, der das laut sagte, musste schnell seinen Dienst kündigen, bevor er gefeuert worden wäre.

Der US-Diplomat George F. Kennan warnte schon 1997  vor der NATO-Osterweiterung, weil das Russland in Situationen bringt, die „uns entschieden missfallen werden“. Noch vor ein paar Jahren hat Henry Kissinger eine neutrale Ukraine ins Gespräch gebracht, um unnötige Konflikte mit Russland zu vermeiden. Kissinger war gewissermaßen ein Putin-Versteher. Kissinger war nie ein Freund Russlands, auch nicht Putins, aber er verstand nach 2 Überfällen auf Russland  aus dem Westen das Bedürfnis nach einem Sordon Sanitaire, einem Sicherheitsgürtel.

Vor ein paar Tagen starb Madeleine Albright, 1997-1991 US-Außenministerin: In den Nachrufen wird sie unisono als unermüdliche Kämpferin für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gewürdigt. Annalena Baerbock twitterte: Auch ich stehe heute auf ihren Schultern“. Die WAZ weist  darauf hin, dass Albright eine radikale Verfechterin der NATO-Osterweiterung war. Nicht erwähnt wird ihre Aussage, dass die Befreiung des Irak von den nur in US-Kriegslügen vorhandenen Massenvernichtungsmitteln 500.000 tote Kinder wert war. Menschenrechte von Kindern lassen sich wohl so oder so interpretieren. Kein Mensch kam auf die Idee, Madeleine Albright irgendwo anzuklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Weinende Kinder und verzweifelte Mütter auf ganzen Zeitungsseiten und Fernsehdokus sind eine berechtigte Anklage gegen den völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine. Diese Bilder wurden nicht gezeigt bei den völkerrechtswidrigen  Überfallen von NATO-Staaten auf den Irak, Jugoslawien, Afghanistan, Libyen, und es gab nicht jeden Abend  andauernd Sondersendungen mit der Forderung, die Präsidenten und Kanzler der beteiligten NATO-Staaten vor den Internationalen Gerichtshof zu bringen. Der Krieg Russlands  erregt maximales Aufsehen und Wut. Die Kriege unserer Freunde und Partner Türkei in Syrien oder Saudi-Arabien im Jemen lassen uns in Mitteleuropa weitgehend kalt. Könnten Regierungsmitglieder der Selenskyj-Regierung, die in herzlicher Freundschaft zu den faschistischen Asow-Brigaden stehen und deren Verbrechen rechtfertigen, auch angeklagt werden? Oder Poroschenko und Selenskyj selbst, weil sie Minsk 11 (immerhin Völkerrechtscharakter!) nie versucht haben, durchzusetzen. Wo blieben da die westlichen Sanktionen?

Wir stehen hier an Gräbern von Menschen, die unter den gegebenen Umständen von vor 100 Jahren Freiheit glaubten verteidigen zu müssen mit Waffen.

Heute müssten wir als Antimilitarist:innen auf viele Erfahrungen des gewaltlosen Widerstands, aber hier und heute z.B. 1968 in der CSSR, verweisen. Damals erhielt die Armee der CSSR keinen Befehlt, militärisch Widerstand gegen die Besetzung durch vor allem sowjetische Truppen zu leisten. Die Besetzung erfolgte fast ohne menschliche und materielle  Schäden. Viele der Älteren kennen noch das Foto des jungen Mannes, der sich das Hemd aufriss und sich vor ein Geschützrohr des Panzers stellte. Da war der Panzersoldat machtlos. Wäre der junge Mann mit einem Molotowcocktail gegen die Panzer vorgegangen, dann hätte der Soldat gewusst, was alle Soldaten der Welt lernen: Töten! Die Truppen etwa der Sowjetunion mussten alle paar Tage ausgetauscht werden, weil die Soldaten entnervt waren, z.T. Sympathien mit den Besetzten entwickeln, die dauernd fragten: Bruder, was suchst du in meinem Land? Soziale Verteidigung ist nicht passiv über sich ergehen lassen, was passiert, sondern aktiv dagegen Widerstand zu leisten. Nur Lebende können für bessere gesellschaftliche Verhältnisse sorgen, Die CSSR war nicht, wie jetzt die Ukraine, zum totalen Trümmerhaufen gemacht worden mit vielen Toten und Millionen von elenden darbenden hungernden traumatisierten Flüchtlingen.

Über die Einübung sozialen Widerstands werden wir in den nächsten Jahren wie damals in den siebziger Jahren intensiv reden müssen. Demnächst machen wir dazu eine Veranstaltung des Friedensplenums.

Inzwischen scheint von deutschem Boden, von dem nie wieder Krieg ausgehen sollte, genau das mal wieder zu geschehen. Entsetzt musste ich mit ansehen, wie mal eben 100 Milliarden zusätzlich für Mordinstrumente ausgegeben werden sollen – und das bei stehenden Ovationen eines sehr großen Teils unserer sog. Volksvertreter:innen. Sind die gewählt worden, damit sie für den drohenden letzten Weltkrieg stimmen?  Der Appell „Keine Hochrüstung ins Grundgesetz“ rechnet vor, dass 100 Milliarden die Ausgaben für Gesundheit (16 Milliarden) plus den Ausgaben für Bildung und Forschung (20 Milliarden, wobei da auch Rüstungsforschung z.T. mit drin ist!), plus den Ausgaben für Innen, Bau und Heimat (18 Milliarden) plus den Ausgaben für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12 Milliarden) plus Wirtschaft und Energie 10 Milliarden) plus Umwelt (knappe 3 Milliarden) plus Zusammenarbeit und Entwicklung (10 Milliarden) plus Ernährung und Landwirtschaft 7 Milliarden)  übertreffen!. Diese „Zeitenwende“ – haben wir die gewollt? Warum klatschen unsere Volksvertreter:innen zum größten Teil stehend Beifall? Haben wir sie dafür gewählt?  Und die längst zum Sprachrohr der NATO und Regierung gewordene 4. Gewalt, fast alle Medien stimmen in den Chor der militaristischen Jubler:innen ein.

Selbst der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Kujat hält die jetzige Kriegsbeteiligung jetzt schon für grenzwertig.

Das Friedensplenum macht demnächst eine Veranstaltung mit Christoph Butterwegge zum Thema Rüstungs- oder Sozialstaat.

100 Milliarden: Das bedeutet gleichzeitig einen Schlag gegen eine eventuelle Bewältigung der sog. Klimakrise, das zerstört die ökologischen Lebensbedingungen, das schafft noch mehr Hunger und Elend in vielen Teilen der Welt, besonders in den  Ländern des kapitalistischen Machtbereichs, in denen sowieso schon täglich 40.000 Menschen, vor allem Kinder, verhungern oder an einfach zu heilenden Krankheiten, sterben; alle 4 Sekunden, die wir hier zusammenstehen, ein Mensch. 2 Milliarden Menschen wissen morgens nicht, ob sie abends satt werden. Das kümmert die meisten so wenig wie die weinenden Kinder und fliehenden Mütter nach den Bombenangriffen unserer Freunde im Jemen oder in Nordsyrien. Die Freunde Saudi-Arabien und Türkei morden da mit deutschen Waffen.

Schätzungen zeigen, dass der Afghanistan-Krieg bis zu 50 Billionen Dollar gekostet hat. Wären  diese  Unsummen  weltweit in  den armen Ländern gerecht verteilt worden, würden  Kriege und Flüchtlingsströme verhindert. 100 Milliarden Schulden, euphemistisch Sondervermögen genannt, werden gemacht. Dieses Geld wird in allen anderen, den Menschen und nicht den Rüstungskonzernen dienenden Haushalten fehlten. Für die Kosten des Jugoslawien-Krieges hätte man jeder Familie im Kosovo eine Villa mit Swimming-Pool bauen können.

Ich weiß nicht, ob diese Ansprache hier und heute nach Friedrich März, nach eigenen Aussagen kein Blackrock-Manager mehr, schon als Propaganda für Putin gilt. Nichts liegt mir ferner!

Wer Zukunftsperspektiven für die Menschen in der Ukraine, in Russland, aber vor allem auch bei uns entwickeln will, muss auch Russland verstehen. Ob uns das passt oder nicht: Putin ist nun mal der gegenwärtige Sprecher Russlands! Russland ruinieren zu wollen, wie das unsere Außenministerin fordert, kann doch kein Schritt zur Deeskalation sein. Auch nicht täglich neue Sanktionen, Waffenlieferungen, neue NATO-Battle Groups in Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Slowakei, Verdoppelungen der schon bestehenden Battle-Groups,  sonstige Drohungen! Und was soll der Satz von Präsident Biden gestern Abend in Warschau bedeuten: „Um Gottes Willen, dieser Mann kann nicht länger an der Macht bleiben!“

Wo soll das enden? Wie weit stecken wir schon in der Katastrophe drin?

Nach allem, was wir wissen, müssen mit Putin  irgendwelche Abkommen gemacht werden, um die Waffen erstmal nur zum Schweigen zu bringen.

Zumindest ein Waffenstillstand muss erst mal her.

Aber denkbar ist auch, dass durch Versehen, technisches Versagen oder gezielte Provokationen  beide Seiten auf Grund ihrer Feindbilder und Vorurteile vielleicht den Weg in die Hölle für alle Menschen auf dieser Erde vorziehen könnten.

Wir müssen mit dem Gegner, mit dem angeblichen Dämon, im Gespräch bleiben.

Wir müssen miteinander nachdenken und auch in Alternativen denken. Nachdenken darf nicht als Schwäche ausgelegt werden, sondern Stärke!

Russland unter Putin weiterhin in eine für ihn ausweglos erscheinende Isolation und Ruin zu treiben, davor sollten wir Angst haben! Es gibt noch andere als die bisher eingesetzten Waffen!

Auch die Toten hier mahnen: Lasst es nicht so weit kommen!

Ich danke euch für eure Geduld!

Wolfgang Dominik

 

 

 

 

 

 

 

 

Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie?

Der amerikanische Präsident Biden sieht durch den Angriff auf die Ukraine laut WAZ vom 28. März „eine große Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie“ aufziehen. Eine Analyse der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ , die die deutschen Bundesregierung berät,  kam Anfang Februar zu einer sehr viel differenzierteren  Einschätzung der demokratischen Verhältnisse in der Ukraine.Sie befürchtet eine Entwicklung hin zum populistischen Autoritarismus. Der Leserin der detaillierten Studie drängt sich der Verdacht auf, dass Russland und die Ukraine sich in den gesellschaftlichen Verhältnissen sehr viel weniger unterscheiden, als Politik und Medien suggerieren.

Für Klimagerechtigkeit, offene Grenzen, Abrüstung und Frieden

Schon morgen, Sonntag, den 27. März gibt es einen gemeinsamen Aktionstag von Ende Gelände, Fridays for Future, der Initiative Rheinmetall Entwaffnen, der Seebrücke und vielen anderen Gruppen in verschiedenen Städten. Mit dem Aufruf „Gegen Krieg und Klimakrise. Für Klimagerechtigkeit,offenen Grenzen, Abrüstung und Frieden“  fordern die beteiligten Gruppen ein Ende des Krieges in der Ukraine und überall, ein Ende aller fossiler Energien, offene Grenzen für alle Menschen auf der Flucht und statt Aufrüstung die Finanzierung sozialer Aufgaben. “ Mehr Waffen bedeuten mehr Krieg, mehr Konflikte und mehr menschliches Leid. In dieser Aufrüstungsspirale gibt es nur Verlierer, bis auf die deutsche Rüstungsindustrie“, heißt es dort.

 

Appell: Demokratie und Sozialstaat bewahren

Rund 30.000 Menschen haben innerhalb weniger Tage den Appell  „Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!“ unterschrieben. Unter den Erstunterzeichnern finden sich viele Prominente aus Politik, Kirchen, Gewerkschaften und Wissenschaften. Die enorme Steigerung der deutschen Rüstungsausgaben helfe der Ukraine nicht. Sie habe aber dramatische Folgen „für die Innenpolitik – für den Sozialstaat, für Liberalität und Mitmensch­lichkeit“.  Ohne gesellschaftliche Debatte solle auf Jahre eine Hochrüstung festgelegt und sogar im Grundgesetz verankert werden, kritisieren die Unterzeichner.

Christoph Marischka setzt sich bei IMI mit Formulierungen in dem Text auseinander, hält aber den “ Appell in Anliegen und Stoßrichtung“ für richtig, auch wenn „die Verknüpfung der Diskussion um die Aufrüstung der Bundeswehr mit dem Krieg in der Ukraine nicht sinnvoll sei. “ Der konkrete Zusammenhang zwischen aktuellem Krieg und Aufrüstung besteht vielmehr darin, dass ihn die Bundesregierung als Möglichkeitsfenster nutzt, in der Pandemie eine Ungeheuerlichkeit wie das Sondervermögen zur Aufrüstung im Grundgesetz verankern zu wollen“, schreibt er.

Diskussion über die aktuelle Position der Friedensbewegung in Bochum

Mittwoch, 16. März in der Ko-Fabrik II

Das Friedensplenum Bochum und die DFG-VK  laden am Mittwoch, den 16. März um 19 Uhr in der Ko-Fabrik im KoLabor in der Stühmeyerstraße 33 zu einer Diskussion über die aktuelle Position der Friedensbewegung ein. Als Einstieg in den Abend wird die Aufzeichnung eines Vortrages von Andreas Zumach gezeigt, in dem er auf die folgenden 10 Fragen eingegangen ist:

1. Wie ist der Ukraine Krieg zu bewerten?
2. Gibt es es eine historische Mitverantwortung des Westens für die Entwicklung in den letzten 32 Jahren, die jetzt zu diesem Krieg geführt hat?
3. Ist der Krieg eine Zeitenwende wie im Bundestag vielfach behauptet wurde?
4. Ist das Putins Krieg?
5. Ist jetzt ein „mea culpa“ der Friedensbewegung erforderlich, wie es die taz etwa in einem Leitartikel auf Seite 1    feststellte?
6. Sind Waffenlieferungen jetzt richtig?
7. Ist die von Bundesregierung und Bundestag angekündigte massive Aufrüstung notwendig?
8. Was ist von Sanktionen zu halten, was können sie bewirken?
9. Was sollte die Friedens-, Menschenrechts- und Klimabewegung jetzt tun, was kann sie tun?
10. Was sind die Chancen, Voraussetzungen und Bestandteile einer künftigen Friedensordnung auf unserem eurasischen Kontinent nach Ende der Ära Putin?

Der Eintritt ist frei.
Die aktuellen Pandemiebestimmungen sind zu beachten.

Andreas Zumach ist Journalist und Publizist. Von 1988 bis 2020 war er Schweiz- und UN-Korrespondent für die tageszeitung mit Sitz am europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf. Er arbeitet als freier Korrespondent für deutsch- und englischsprachige Print- und Rundfunkmedien.
Anfang der 1980-er Jahre war er maßgeblich verantwortlich für die Organisation der riesigen Friedensdemonstrationen in Bonn.